Sapere aude!                    (Wage ein Weiser zu sein)

 

oder ebenfalls in Kants Worten:

„Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“

Kein Philosoph beschreibt unserer Meinung nach den Rapport und den Dialog zwischen Arzt und Patient aber auch dessen Pflicht zur Eigenverantwortung so treffend wie Immanuel Kant.

Es ist der berühmte Kant’ Imperativ genauso wie sein Traktat über die Aufklärung. Der kategorische Imperativ, umgemünzt auf die Praxis würde heißen:

„Behandele Deinen Patienten nicht anders als Du selbst in jener Situation behandelt werden möchtest.“

Und genauso wichtig aber ist der Weg des Patienten in die Mündigkeit.
Werde Kümmerer und Experte deiner eigenen Krankheit.

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines andern zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Theil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen (naturaliter majorennes), dennoch gerne Zeitlebens unmündig bleiben; und warum es Anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt der für mich die Diät beurtheilt, u. s. w, so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. 

In der Kant’ Philosophie stehen vier Fragen heraus, die jeder Mensch, der kommt, mit sich bringt:

 

Was ist der Mensch?

Was ist dieser Mensch? Welches Thema bringt er mit, welche Angst? Wir versuchen dem Menschen, der kommt, zu helfen, diese Frage zu beantworten. Es ist die wichtigste Frage und die Antwort ist immer nur auf der Herzensebene wahr.

Was kann ich wissen?

Was kann ich in seinem Wesen spüren, in und an seinem Körper ertasten, hören, sehen, messen, welche Untersuchungen legen das Innerste dar, die Zellen, die Mechanismen seines Lebens, Handelns und Wesens.

Was soll ich tun?

Und wie kann sich der Mensch, der kommt, nun helfen, welche Erkenntnisse führen zu einer Therapie und auf welchen Ebenen findet sie statt?

Was darf ich hoffen?

Erkenntnis, Behandlung, Heilung, Entwicklung? Wohin geht der Weg von hier?

Jenseits aller Zweckmäßigkeit und Nüchternheit, aller Distanz und faktischen Vernunft, die ärztliches Handeln häufig prägt, versuchen wir stets zu spüren, worum es eigentlich wirklich geht, zu erkennen, welche Not die Krankheit gebar, welches Thema und welche Aufgabe dem allen zugrunde liegt.

Um so den Patienten in seine Mündigkeit zu entlassen, auf eine Fährte zu setzten, auf der sich viele Dinge zeigen.

„Das schnellste Roß, das euch zur Vollkommenheit trägt, ist das Leiden“

Meister Eckhart, deutscher Mystiker, 1260-1327.