ein Beitrag zur Klärung der homöopathischen Frage
von Dr. med. Stefan Pieper

Meine Tochter war drei, als sie anfing, schlecht zu hören. Schuld war ein chronischer Paukenerguss durch zu große Mandeln.

Ein paar Jahre haben wir uns das angesehen, behandelt und gehofft, dass sich das irgendwann gibt. Tat es aber nicht und wir machten uns Sorgen, denn diese Zeit war für ihre Sprachentwicklung sehr wichtig.

Dann haben wir sie an der Uniklinik vorgestellt und uns wurde zur OP geraten. Mandeln raus und Paukenröhrchen, das war damals eine Standardeingriff.

Ich war Hausarzt, frisch niedergelassen in Münster nach über zehn Jahren im Krankenhaus. Durch und durch Schulmediziner. Ich konnte die ganze Sache gut nachvollziehen, obwohl mir als Vater schon auch mulmig war.

Zufällig hatte ich zu dem Zeitpunkt gerade einen Homöopathie-Kurs belegt. Nicht so richtig aus Überzeugung, eher aus Frust, weil ich vielen Patienten in der Praxis mit meiner tollen Ausbildung gar nicht helfen konnte. (und meiner Mutter zuliebe, aber das ist eine andere Geschichte 🙂

 

Jedenfalls hatten wir in dem Kurs ein Kindermittel durchgenommen, bei dem zur besseren Einprägung eine Zeichnung abgebildet war, die eines kleinen Mädchens an den Rockschössen seiner Mutter. Statt eines Schnullers hatte es ein Schnuffeltuch im Mund. Von Gemüt schüchtern, freundlich und nachgiebig, von Natur blond, blass und zierlich.

Kurz, in dem Buch, das Bild, das war praktisch meine Tochter!

Das Mittel hieß Pulsatilla und bei den Krankheitssymptomen ging es u.a. auch um Ohr, Rachen, Mandeln und Schwerhörigkeit durch Erkältung.

Ich kam also nach Hause, nahm meiner Tochter das Schnuffeltuch aus dem Mund und gab ihr 2 Globuli Pulsatilla.

Im Jahre 1821 schrieb Shelley einen wunderbaren Essay „A Defense of Poetry“,  der „für das Geistesleben dieselbe Bedeutung hatte wie die amerikanische Unabhängigkeitserklärung für das politische…und legte darin dar, warum die Vernunft allein für den menschlichen Fortschritt nicht ausreiche…(und) wenn Wissenschaft und Technik den Anspruch erhöben, ethische Imperative vorzugeben, führe dies die Menschheit in die moralische Katastrophe.“ (Postman, Building a Bridge to the 18th Century, Knopf, New York 1999, in deutsch: Die zweite Aufklärung)

Er schrieb diese Abhandlung in Erwiderung auf den Aufsatz seines Freundes Thomas Love Peacock, der die Dichtkunst im Abstieg begriffen, im Zeitalter der Wissenschaft als wertlos und überflüssig und den Dichter selbst als halben Barbaren inmitten einer zivilisierten Gesellschaft sah. Heute würde man sagen Poetry-Bashing.

Die Auseinandersetzung ist stellvertretend für den damals geführten Disput „Romantik gegen Rationalismus“, dessen Argumente heute noch gültig sind.

Shelley schrieb damals an Peacock, „Deine Verdammung der Dichtkunst selbst erregte in mir einen heiligen Zorn …ich hatte den größtmöglichen Wunsch ein Lanze zu brechen… zu Ehren meiner Geliebten, der Muse“.

Im Jahre 2005 erschien im Editorial des Lancet ein Aufsatz mit dem Titel „The end of homoeopathy“, in dem es natürlich um die Verdammung der Homöopathie ging und der mich ähnlich fühlen ließ wie damals Shelley. Ich schrieb daraufhin auch einen Aufsatz („Pieper S. Eine Verteidigung der Homöopathie. AHZ 2016; 261 (3): 27–31“ ), aus dem ich  im Folgenden immer wieder ausgiebig zitiere.

Homoöpathie-Bashing hat hier ebenfalls eine lange Tradition und momentan läuft es gar nicht für die Homöopathie. Es scheint ja auch so einfach zu sein: bornierte Kritiker wie Edzard Ernst (em. Prof. für Alternativmedizin, Exeter und aus meiner Sicht ein „Maulwurf“, er hat an der Alternativmedizin nie ein gutes Haar gelassen) oder Werner Bartens (Süddeutsche Zeitung), die überhaupt keinen Dialog mehr suchen und dies auch nie getan haben, setzen einem ständig gut ausformulierte Halbwahrheiten vor, die sich bestens verinnerlichen und wiederholen lassen. „Leider handelt es sich bei den von Ernst und Bartens verfassten Texten nicht um sachliche oder gar wissenschaftlich belegte Darlegungen, sondern um tendenziöse, sachlich unzutreffende Wiedergaben von Studienergebnissen zur therapeutischen Wirksamkeit der Homöopathie“

(Matthiessen PF. Homöopathie und intellektuelle Redlichkeit-Eine Stellungnahme, Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2018; 50: 172–177)

Es ergibt sich in der Öffentlichkeit dann ein Bild einer geradezu lächerlich unbrauchbaren Therapie, deren Stellenwert und Existenzberechtigung kaum nachvollziehbar ist. Selbst Herr Welke macht sich in der Heute-Show darüber lustig.

 

Wissenschaftliche Beweisbarkeit

 

Es ist wichtig klarzustellen, dass für die Wirkung und Effektivität der homöopathischen Methode die wissenschaftliche Beweisbarkeit nicht zwingend erforderlich ist. „Eine große Erzählung muss nicht im wissenschaftlichen Sinne wahr sein, um zu leisten, was sie leisten soll.“ (Neil Postman, Die Zweite Aufklärung, 1999)

Dieses Fehlen einer schlüssigen naturwissenschaftlich begründeten Wirkungsweise, das die Homöopathie ja übrigens mit fast allen komplementären Medizinformen und auch mit nicht wenigen schulmedizinischen Therapien gemeinsam hat, könnte möglicherweise sogar noch eine Weile so bleiben und auf diesen Fall müssen wir vorbereitet sein und entsprechend argumentieren.

Nicht auf Erklärungen warten, auf die weiteren Erkenntnisse der Quantentheorie zum Beispiel, der viele Homöopathen eine Schlüsselrolle bei der Suche nach einem Erklärungsmodell zugedacht haben.

Und das Ungeklärte, Ungefähre, sozusagen – um im Terminus der Quantentheorie zu bleiben – Unscharfe ist gerade auch das Reizvolle an der Homöopathie, das macht ihren besonderen Status im Medizinwesen doch mit aus.

Sie ist gerade nicht der selbsterklärende Algorithmus, den wir Mediziner so lieben, möglichst mit Handlungsanweisungen im Flussdiagramm, nein, sie ist selbst für eingefleischte Homöopathen ein stets geheimnisvoller Koloss mit einer gewissen Willkür, der uns genauso durch das Leben leitet wie unsere Patienten und uns dabei unablässig Lernbereitschaft und Beschäftigung mit ihm abverlangt.

Außerdem wird eine Behandlungsmethode, die außerhalb des zur Zeit etablierten und erklärbaren Systems von Wissenschaft steht sich schwerlich innerhalb dieses Systems erklären lassen. Galilei hat schließlich auch den Lauf der Venus nicht mit dem ptolomäischen Weltbild erklären können (OK, der Vergleich hinkt etwas…)

Es würde vielleicht schon ausreichen, wenn neben dem streng deduktiven Denken in der momentanen Medizin wieder eine induktive Wissenschaft zulässig wäre. Damit würde die Homöopathie mit einem Schlag wieder „gesellschaftsfähig“. Und die Realität spricht für sie. „Was besagen soll, dass die induktive Wissenschaft („Erfahrungsmedizin“) zwar den Test deduktiver Strenge („evidence-based-medicine“) nicht bestehen mag, dies aber der einzige Test ist, bei dem sie durchfällt.“ (Postman)

Und so genau, wie die Beobachtungen des Einzelnen in der Homöopathie auch sein mögen und so gut wie die wiederkehrenden Gesetzmäßigkeiten formuliert sind, so ungenau und vage ist der induktive Schritt zur Allgemeingültigkeit, zur allgemeinen These, weil einfach ein tragbares Modell hierfür momentan nicht zur Verfügung steht.

Es gibt eben nicht zu allen Fragen Antworten. Das Theorem hierzu ist die prinzipielle Nichterklärbarkeit. Dabei geht es um eine grundsätzliche Unvollständigkeit der Erklärung komplexer Systeme und dieser Gedanke wird nicht nur aus Hilflosigkeit und zur Bestanderhaltung von Weltbildern sondern auch aufgrund allgemeiner philosophischer Betrachtungen des Phänomens, das sich Systemeigenschaften nicht aus sich selbst, also dem System heraus erklären, herangezogen.

Es geht bei der Homöopathie jedoch in erster Linie nicht um die Erklärbarkeit, sondern um die Beweisbarkeit der Wirkung in dem bei uns implementierten Modell der Evidence-based-medicine.

Warum tut sich die Homöopathie damit so schwer, sich in diesem System durchzusetzen?

Die Standards, denen sich die Homöopathie unterwerfen muss, sind von einer stramm evidence-based treuen Gemeinde, die sich im medizinischen Bereich zu einem nicht geringen Teil der Pharmaindustrie verdingt hat (Stichwort Drittmittel), so gesetzt, dass sie sehr schwer, eigentlich gar nicht zu erfüllen sind. Statistiker und Studiendesigner haben dort ein Minenfeld gelegt, aus dem der kleine Trupp wackerer Homöopathen, die sich hineinwagen, nicht unbeschadet herausfindet.

Da nützt es wahrscheinlich auch nicht viel, wenn beispielsweise R.G.Hahn, ein seriöser Anästhesist der Universität Linköping, dem man nun wirklich keine Nähe zur Homöopathie vorwerfen kann, in seiner Arbeit viele gebetsmühlenartig wiederholte abwertende Aussagen zu homöopathischen Studien, darunter auch die der Lancet-Veröffentlichung von Shang, sehr überzeugend widerlegen kann („Homeopathy: Meta-analysis of pooled clinical data“ 2013; 20 (5):376-381, Forschende Komplementärmedizin).

( Dazu kommt, dass die Evidence-based medicine ohnehin am Verhältnis zwischen respektablen Studien und wissenschaftlichem Frevel krankt, ein Verhältnis, von dem man bei näherem Hinsehen wahrscheinlich feststellen würde, wie ungünstig es ist.

Der Spruch „ Glaube keiner Studie, die Du nicht selbst gefälscht hast“ dürfte nur für diejenigen witzig klingen, die sich mit dem wissenschaftlichen Betrieb nicht auskennen. Die zugrunde liegende Problematik wird aber innerhalb des Systems weitgehend negiert. Irritationen, Unstimmigkeiten bis hin zu vorsätzlichen Unterlassungen und Fälschungen vorrangig aus wirtschaftlichem Kalkül, weniger häufig der Ehre wegen oder auch nur aus Rechthaberei kommen ständig vor. Die Dunkelziffer dürfte enorm sein, aber der Umgang mit diesem klassischen Sündenfall wird dessen Tragweite nicht gerecht. (siehe auch: Jelinek G1 and Neate S: The influence of the pharmaceutical industry in medicine. Journal of Law and Medicine, Volume 17, Number 2, October 2009, 216)

An dieser Stelle ergibt sich eine gesellschaftliche Kontroverse, die ernstgenommen werden muss. Durch diese Schändung ist nämlich die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft als Ganzes bedroht. Das bedeutet, wir müssen mündig genug sein oder werden um über richtig oder falsch mitentscheiden zu können.

Bitte, wir dürfen doch nicht davon ausgehen einen unabhängigen Artikel zu lesen, wenn die zugrundeliegende Studie mit Drittmitteln einer Pharmafirma finanziert wurde und/oder der Autor in pekuniärer Abhängigkeit zu dieser Firma steht. Da sind doch die Homöopathen nicht die Naiven, wenn sie so warnen. Hier liegt ein systemimmanentes Hindernis vor, das die wissenschaftliche Ethik in Gefahr bringt (und in diese Schlangengrube begibt sich nun die besagte tapfere kleine Schar von Homöopathen…).

Zum anderen liegt es in der Natur der Homöopathie als streng individualisiertes Verfahren, dass sie sich in ihrer Komplexität den Maßgaben der Evidence-based medicine verweigern muss.

Nur ein Beispiel: Das Mittel für meine Tochter fand ich (abgesehen vom Blindes-Huhn-Prinzip) nur wegen der vollkommen krankheitsunabhängigen Symptome schüchtern, blond, hängt an Mutters Rockschößen und Schnuffeltuch und nicht wegen des Paukenergußes. Für „Paukenerguss“ gibt es in der Homöopathie zig Mittel, für die Gesamtkonstellation nur eines.

Die Homöopathie arbeitet ja gerade nicht mit Diagnosen und Krankheitsbildern, sondern ausschließlich mit den Symptomen und Umständen einer Erkrankung. Das heißt, eine Studie aufzulegen, die die Effektivität der Methode bei meinetwegen Rheuma überprüfen soll, scheitert schon daran, dass das „normale“ Krankheitsbild für den Homöopathen kaum eine Rolle spielt. Sondern er sucht gerade nach dem Ungewöhnlichen, dem Besonderen und nicht, sagen wir, nach den üblichen Gelenkschmerzen, schubhaften Verläufen oder Ergüssen. Ihm ist die Ursache wichtig, die Causa, die Umstände der Krankheitsentstehung, die Geschichte der Familie, die Stimmung des Patienten, alles zusammengetragen in dem anstrengenden und aufwändigen Akt der Erstanamnese.

Das ist die Ganzheitlichkeit, die wir uns ja alle wünschen. Und diese geht der Schulmedizin weitgehend und immer mehr ab, sie wird von ihr gar aktiv vermieden. Dazu gehört auch die Ganzheitlichkeit in der Zeitachse: der Homöopath richtet seinen Blick zunächst rückwärts, fragt, was war und stellt eine Verbindung her zum gegenwärtigen Problem. Er überprüft seine Handlungen in der Zukunft durch fest implementierte Folgeanamnesen. Der Schulmediziner hat für sich erkannt, dass von diesem Vorgehen für ihn kein Benefit zu erwarten ist – eine Anamnese ist damit nutzlos – und so fragt er sofort, was ist. Und das, was ist, wird behandelt, pharmazeutisch oder bestrahlt, mit Kortison unterdrückt oder operativ ausgemerzt, möglichst standardisiert nach Richtlinien. Häufig, im Fall chirurgischer Intervention fast immer, sieht er seinen Patienten in der Zukunft nicht wieder. Eine vertikale Patientenbegleitung, wie in der Homöopathie – und übrigens auch in der hausärztlichen Medizin – üblich, findet in der Regel nicht statt.

Aber wenn wir uns nun einmal genau die Datenlage für die Homöopathie anschauen, stellt man fest, sie ist gar nicht mal so schlecht! „Die hierzu publizierte Evidenz spricht für eine  therapeutische Wirksamkeit der Homöopathie!“ (Matthiessen PF. Homöopathie und intellektuelle Redlichkeit-Eine Stellungnahme, Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2018; 50: 172–177)

„Der Umstand, dass es in jüngster Zeit Mode geworden ist, sich abwertend gegenüber der Homöopathie zu äußern, veranlasste die Mitglieder des Dialogforum Pluralismus in der Medizin (DPM), und das sind namhafte Ärzte, Wissenschaftler und Institutionen zu einer Richtigstellung, die unter Verweis auf internationale repräsentative klinische Studien, Metaanalysen, und HTAs zur Homöopathie erfolgt.“ (ebenda).

„In der Schweiz wurde die Einführung der Komplementärmedizin als ein durch die Verfassung verbrieftes Recht nach einer gründichen Evaluation vorgenommen. Dies hat dazu geführt, dass die Homöopathie neben drei weiteren komplementärmedizinischen Methoden als Pflichtleistung der Krankenkassen in der Schweiz angeboten und an den Hochschulen für alle Gesundheitsberufe gelehrt werden muss. Dieser Entscheidung ist nicht nur eine Volksabstimmung, sondern auch eine doppelte wissenschaftliche Evalua- tion vorangegangen. Entgegen Behauptungen, es gäbe keine qualitativ hochwertigen Studien in der Homöopathie, gibt es derer eine ganze Reihe, obwohl eine institutionelle Förderung der Homöopathieforschung nicht stattfindet“ (ebenda)

Doch „selbst wenn klinische Studien therapeutische Wirksamkeit belegen, führt dies in aller Regel keineswegs zu einer Akzeptanz der komplementärmedizinischen Ansätze, weil deren erkenntnistheoretischen Voraussetzungen aus Sicht der in der Medizin vorherrschenden Paradigmen als nicht plausibel erscheinen und insofern nicht sein kann, was nicht sein darf.“ (Schulmedizin und Komplementärmedizin: Verständnis und Zusammenarbeit müssen vertieft werden. Willich, Stefan; Dtsch Arztebl 2004; 101(19): A-1314 / B-1087 / C-1051)

 

Primum nihil nocere – zuerst einmal nicht schaden

 

Dieser vornehmste hippokratische Grundsatz der Medizinethik ist vielleicht einer der vorrangigen Gründe, warum es die Menschen in Scharen zur Homöopathie treibt. Denn die Schulmedizin schadet, und das häufig mehr als dass sie nützt!

Dr. Barbara Starfield, 1932-2011, ehemals amerikanische Gesundheitsexpertin an der renommierten John Hopkins University hat die Tragödie des ärztlichen Handelns in Zahlen ausgedrückt: Nach Starfield („Is US Health Really the Best in the World?“ JAMA July 26. Vol. 284, no. 4. pp. 483-485, 2000) sterben allein in den USA jährlich über 200.000 Menschen an ärztlicher Behandlung, manche Schätzungen gehen gar von über 750.000 Opfern aus! (Death by Medicine, Gary Null, Praktikos Books, 2011)

Und bei Starfield sind Kunstfehler explizit ausgenommen („not associated with recognizable error“) genau wie alle Todesopfer aus dem riesigen Bereich der ambulanten Medizin!

Behandlungsbedingte Todesfälle liegen in den USA nach Herz-Kreislauferkrankungen und Krebs damit auf Platz drei. Wir reden gar nicht von den Millionen betroffenen „Überlebenden“ (treatment-caused-injuries) jährlich.

Die Zahlen dürften in Deutschland aufgrund der guten Vergleichbarkeit der Medizinsysteme auf einem ähnlichen Niveau liegen, jedes Jahr werden entsprechend erschreckende Zahlen durch den AOK Krankenhaus-Report bekannt.

(Ein weiteres interessantes Detail aus der Starfield-Studie ist die Tatsache, dass von 13 untersuchten Staaten im Ranking der medizinischen Versorgung auf der Basis von 16 Gesundheitsindikatoren die USA und Deutschland auf den beiden letzten Plätzen 12 und 13 landeten!)

Erstaunlich ist dabei, dass diese Erhebungen, die sich aus offiziellen Krankenhausstatistiken rekrutieren, von niemandem zur Kenntnis genommen wurden und werden (vergleiche: „The Silence“ by Michael L. Millenson, Health Aff March 2003).

Und, das möchte ich betonen, an diesen furchterregenden Zahlen und Statistiken hat die Homöopathie keinen Anteil!

Sie werden produziert von einem erbarmungslosen, weil in seinen Auswirkungen menschenverachtenden Gesundheitssystem, das Fragen der Ethik im Zusammenhang mit der Behandlung am und des Menschen zu stellen offenbar nicht mehr in der Lage ist.

In einer solchen Zeit ist jemand bereits mit einer Behandlungsmethode zufrieden, die ihn wenigstens nicht umbringt.

Hier hat sich die moderne Schulmedizin mit all ihren Auswüchsen selbst ein Bein gestellt und damit sozusagen in ein entstandenes ethisches Vakuum alternative Behandlungsmethoden eingesogen, die noch dem alten Grundsatz nil nocere genüge tun. Und hier ist die Homöopathie als etabliertes Verfahren prädestiniert.

 

Gesundheitsökonomie

 

Ein weiterer unübersehbarer Vorteil der Homöopathie ist die Kostenersparnis gegenüber der Schulmedizin.

Indien, das gerade mal 1% seines Bruttosozialprodukts für das Gesundheitswesen ausgibt, hat eine relativ hohe Dichte an homöopathischen Ärzten (23 pro 100.000 Einwohner bei 70 allopathischen Ärzten pro 100.000), in manchen Landstrichen ist der Homöopath der Primärversorger und liefert damit einen sehr preisgünstigen Baustein zum Gesundheitssystem, was den indischen Behörden sicher bewusst ist. (Dinges M., Der Versorgungsbeitrag der Homöopathie in Indien. ZKH 2011; 55 (1): 4–18).

Aus meiner Erfahrung kann ich berichten, dass allein ich in meiner (kleinen) Praxis jedes Jahr ca. 100.000€  einspare, nämlich an weniger verschriebenen Medikamenten, wobei ich im Umgang mit dem Rezeptblock in einer integrativen, also gemischt arbeitenden Praxis bei notwendigen und auch teueren Mitteln nicht knauserig bin.

Bei über 100.000 niedergelassenen Ärzten betrüge das Einsparpotential nur für Medikamente entsprechend Zehnmilliarden Euro jährlich. Bei Arzneiausgaben jährlich von 30 – 40 Milliarden sind das immerhin ein Drittel bis ein Viertel der Gesamtkosten. Ganz zu schweigen von der Einsparung an Behandlungskosten, die durch behandlungsbedingte Erkrankungen in der Schulmedizin entstehen, Sie dürften wahrscheinlich nicht deutlich unterhalb der Behandlungskosten für Herz-Kreislauf-Erkrankungen liegen und damit ebenfalls zwischen 30 und 40 Milliarden ausmachen. Zugegeben, dies sind nur sehr grob überschlagene Zahlen, aber von der Größenordnung her müssten sie einigermaßen realistisch sein.

 

Placebo

 

Wenn wir einmal den hypothetischen Fall annehmen, Homöopathie wirke nicht, hätten sich die Homöopathen auf meisterliche Art den Placeboeffekt zunutze gemacht.

Ein grandioses Werkzeug, dass jedoch in der Schulmedizin nicht nur keinen Stellenwert hat, sondern auch noch verunglimpft und verspottet wird, obwohl seit langem klar ist, dass hier ein wichtiger therapeutischer Nutzen ignoriert wird. Und dann wäre die Frage berechtigt, auf welche besondere Art dieser Heileffekt durch die Homöopathie transportiert wird. (In der Realität ist es allerdings so, dass der Homöopath gut unterscheiden kann zwischen homöopathischer und Placebowirkung.)

Dessen ungeachtet hat der Placeboeffekt auch sonst einiges gemein mit der Suche in der Homöopathie: „Placebo ist im Grunde die Suche nach dem psychosozialen Kontext, der den Patienten umgibt“. (aus: Pain Pract. 2007 Mar; Placebo theory and its implications , Koshi EB)

„Placebobehandlungen sind aufgrund moderner Placeboforschung hoch effektiv und können langfristig wirksam sein, es gilt den Placebo-Effekte intensiviert zu beforschen und „ ‚Placebo-nahe‘ Interventionen wie Homöopathie, Akupunktur und manche naturheilkundlichen Ansätze“ in die Medizin und Pharmazie zu integrieren.“ (Winfried Rief, 22.08.2018 in „Außenansicht“ der Süddeutschen Zeitung)

 

Suche nach Wahrheit

 

Zuerst und immer ist da in der Medizin die Suche nach Wahrheit.

Die Homöopathen suchen dabei induktiv nach der individuellen Wahrheit, nämlich beispielsweise „im psychosozialen Kontext, der den Patienten umgibt“ (s.oben). Sie ziehen dabei vor allem auch die subjektive Sicht seiner Erkrankung in Betracht. Warum ist dieser Mensch erkrankt, wo liegen seine besonderen Gründe, welche Umstände lassen ihn genau auf diese Art leiden, welche Ausprägung des Bildes ist ihm eigen usw. und versuchen daraus für sich Gesetzmäßigkeiten und ein homöopathisches Mittel abzuleiten.

Die Schulmedizin will objektive Antworten, zentral ist bei ihr die allgemeine Wahrheit, sie fragt deduktiv. Wie kann eine Krankheit entstehen, welche Faktoren haben ihr Entstehen möglich gemacht, welche Mechanismen ihr im Detail den Weg bereitet und wie kann man auch den kleinsten dieser mechanischen Urheber reparieren.

Aber mag das Ziel der Suche auch geblieben sein, der Weg dorthin und bereits der Ansatz und Zweck ist in der Schulmedizin auf der langen Reise durch die Zeit ein anderer geworden: Sie kommt mir vor wie der Mensch, der nachts seinen Schlüsselbund verloren hat und ihn unter einer Laterne sucht. Auf die Frage, warum dort, antwortet er verblüfft, ja, es sei woanders  doch viel zu dunkel um ihn zu finden. Das Licht der Laterne ist der ökonomische Zwang, sind Drittmittel, Sponsoring, kurz, das Geld der Gesundheits- allen voran der Pharmaindustrie. Die Fläche unter der Laterne ist der etablierte Boden der pharmazeutischen Forschung und der Schlüsselbund, früher die Neugier, der Drang zur Erkenntnis, zur Heilung, ist heute eigentlich nur noch der materielle Gewinn.

 

rechtsstaatliche Vereinbarkeit

 

Ein wichtiger Punkt, für dessen Erwähnung ich Herrn Prof. Matthiesen überaus dankbar bin, ist der hochproblematische Ansatz, ein wissenschaftliches Dilemma durch staatliche Parteiergreifung für ein bestimmtes Paradigma zu lösen. Dieser „monoparadigmatische Reduktionismus führt aber – bedacht oder nicht bedacht – am Ende stets in eine totalitäre Ideologie, für die die dogmatische Ideologie alles, der Respekt vor dem Selbststimmungsrecht des Bürgers, der Toleranz gegenüber Vertretern anderer Denk- und Praxisansätze, dem individuellen Erkenntnisstreben und der Achtung der Menschenwürde nichts bedeutet. Wollen wir eine solche durch totalitäre Strukturen geprägte Entwicklung in unserem Land für die Medizin und das Gesundheitswesen?“

 

philosophische Betrachtung

 

Nun möchte ich zuletzt ein Wort zur bereits angedeuteten Rolle der Homöopathie als Stellvertreter in einem Jahrhunderte währenden Zwist verlieren.

Nach dem notwendigen und erfolgreichen Aufstieg des Rationalismus und dessen Spielarten Mechanizismus, Empirismus, Determinismus und metaphysischem Materialismus etc., die im Wesentlichen die aufkommenden Naturgesetze und die verstanden geglaubte Materie zum non-plus-ultra des Weltenlaufes erklärten, manifestierte sich spätestens mit Rousseau und Schlegel eine Strömung durch die aufkommende  Romantik, die als Gegenentwurf zum Rationalismus gelten darf, ausgelöst durch die französische Revolution, die im Geiste der Aufklärung und des Rationalismus begann und in ihren Auswüchsen in Schreckensherrschaft und Terror mündete.

Spätestens seit dieser Zeit stehen sich die Vertreter beider Strömungen weitgehend unversöhnlich gegenüber und in diesem Zusammenhang schrieb Shelley seinen berühmten Essay über die Verteidigung der Dichtkunst.

Ich sehe diesen Zwist fortgeführt und auf die Spitze getrieben durch die vehementen Befürworter eines Medizinsystems, das sich nur noch auf die eindeutige und materielle Beweislage stützt. Es ignoriert jedoch damit ein riesiges, über Jahrhunderte gewachsenes Potential der Medizin, in der Erfahrung, Handeln nach eigenen Gesetzen, Intuition und vor allen Dingen das direkte Erleben, die Unmittelbarkeit oder die sinnliche Gewissheit eine wichtige Rolle spielen und in der die Homöopathie beheimatet ist.

Es geht also wieder um die Polarität des Stofflichen und Nicht-Stofflichen in der Medizin.

Die Evidence-based medicine hat hier klare argumentative Vorteile und nicht nur das, jetzt wird öffentlich diskutiert, dass Heilverfahren wie die Homöopathie a priori nicht mehr Eingang in wissenschaftliche Forschung finden sollen, da sie „sicheren Erkenntnissen widersprechen“ (Weymayr, Konzept der Scientabilität ). Man würde ja auch nicht überprüfen, ob Schweine aus eigener Kraft zum Mond fliegen können, obwohl das streng wissenschaftstheoretisch nicht unbedingt auszuschließen wäre, breitete die SZ im Januar 2014 süffisant aus.

(An dieser Stelle wird es aus meiner Sicht gefährlich für die Forschung an sich. Wenn Phänomene, die sich mit den bestehenden Erkenntnissen nicht erklären lassen, ausdrücklich von der Neugier wissenschaftlicher Forschung ausgeschlossen werden, wie kommen wir dann zu weiteren, anderen, neueren Erkenntnissen jenseits unseres Horizonts? Oder haben wir schon alles entdeckt?  Gibt es nicht einen Restbestand an noch nicht erkannter Erkenntnis? Ist nicht auch der Rationalismus getrieben von der Unzulänglichkeit des menschlichen Erkenntnisvermögens? Was ist denn so schlimm an dem Gedanken der Unerkennbarkeit der Welt?)

Was wäre aber nun, wenn Hundertausende von Augenzeugen in der Vergangenheit Schweine Richtung Mond hätten davonfliegen sehen? Was ist also mit persönlicher Erfahrung? Kaum eine Medizinrichtung hat einen solchen Fundus an Erfahrungsberichten, Fallbeobachtungen und meist sehr detaillierten Einzelfallstudien wie die Homöopathie. „Bis zum Jahre 1840 wurden bereits 3800 Fälle in einer neunbändigen Serie (…) publiziert. Seitdem ist die Zahl der Fälle wahrscheinlich um das 50- bis 100fache angestiegen. (…) Trotz der Menge und Genauigkeit der existierenden Dokumentation sowohl von historischen Fallberichten als auch von zeitgenössischen Outcome Studies und der Robustheit und Größenordnung des Effekts homöopathischer Behandlung argumentieren die Hardliner der evidenzbasierten Medizin, dass, solange Studien nicht verblindet, randomisiert und Placebo-kontrolliert seien, ihre Ergebnisse nicht zuverlässig, nicht zwingend überzeugend und damit irrelevant wären“ (Aus: Zur Frage der Wissenschaftlichkeit der Homöopathie, J.M.Schmidt, Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, 2014)

Und folgen Homöopathen mit ihrem wissenschaftlichen Ansatz nicht nach Wilber „den drei Strängen gültigen Wissenerwerbs: Injunktion, Erkenntnis und Bestätigung/Widerlegung“ ? „Wer die Existenz der höheren Entwicklungsebenen bestreiten will, ohne das Experiment selbst gemacht zu haben, kann sich nur an das Muster der Kirchenmänner halten, die nicht durch Galileis Fernrohr blicken wollten. Wir wissen, dass da nichts zu sehen sein kann.“ (Ken Wilber, Eros, Kosmos, Logos, 1996, Wolfgang-Krüger-Verlag).

Also gilt es selbstbewußt zu konstatieren: So viele ernsthaft und akribisch arbeitende, an renommierten Universitäten ausgebildete Ärzte, die aus dieser Heilmethode eine derartige berufliche Befriedigung ziehen, dass sie davon trotz der Häme ihrer schulmedizinischen Kollegen nicht mehr lassen mögen, so viele Ärzte können sich nicht irren!

Wäre es nicht angemessen, einmal innezuhalten und sich einen Augenblick auf die Erfahrung so vieler einzulassen? Hat die Homöopathie das nicht verdient? Sind die vielen Homöopathen über die lange Zeit nicht glaubwürdig?

Und wenn nicht, dann frage ich mich, warum nicht? Woher kommt dieser Dünkel und diese Vehemenz, mit der er vertreten wird. Woher kommen die gar nicht rationalen Emotionen, ja ich möchte fast sagen, der Hass, mit dem diese Debatte seitens der Schulmedizin geführt wird?

Die Antwort liegt – glaube ich – an der Stellung der Homöopathie genau an der Schnittstelle der oben betrachteten divergierenden philosophischen Welten, zwischen dem Stofflichen und dem Nicht-Stofflichen. Niemand regt sich über das Geistheilen so auf, obschon es doch für die Schulmedizin reine Ketzerei sein dürfte. Niemand mäkelt so polemisch an der Psychoanalyse, am Schamanismus oder der Hypnotherapie herum, obschon sie alle nicht-stofflich und unbewiesen sind.

Nein, die Homöopathie hat die Materie bis über ihre Nachweisgrenze hinaus verdünnt, sie hatte die Frechheit, sich als Kind der Schulmedizin sozusagen aus dem Staub zu machen. Deshalb sind die Leute angefasst, beleidigt, persönlich betroffen. Wie der Pfarrer, der sich nicht über die Atheisten im Allgemeinen mehr aufregen mag, aber über den eigenen Sohn sehr, wenn der aus der Kirche austritt. Die Homöopathie hat die Chuzpe gerade an der Stelle anzusetzen, an der es der Schulmedizin weh tut. Diese ist zutiefst im Stofflichen verhaftet, es gibt praktisch keine anderen Behandlungsebenen für sie. Alles ist Wirkstoff, Galenik, OP, Bestrahlung, Impfung, Antikörper-Bildung, es sind die Sonden, Katheter, Stents und Prothesen. Und dann kommt die Homöopathie und behauptet sich und ist sogar in vielen Belangen überlegen, gerade weil sie die Materie wegverdünnt bis sie wirkt.

Das ist für die schulmedizinischen Kleriker Blasphemie und deswegen sind die Reaktionen so heftig und emotional, deswegen gehen die Leute ja sogar auf die Strasse (2010 Großbritannien,  2013 Wien).

 

Abschlussbemerkung

 

Shelley schreibt in seiner Verteidigung der Dichtkunst, sie bereichere unsere Vorstellungskraft und die Fähigkeit, mit anderen Menschen mitzufühlen. Er sagt, sie decke die unverstandene Beziehung zwischen den Dingen auf und bewahre das Verständnis für (…) die Wahrheit. Und genau das hätte er auch über die Homöopathie sagen können!

In einer Zeit des medizinischen Reduktionismus ist sie sozusagen der Bannerträger der medizinischen Romantik. Sie steht in der Tradition des altruistischen Handelns in der Medizin. Und darüber hinaus ist diese Medizin noch sprechend, was Shelley sicherlich gefallen hätte, sie ist empathisch, sie gibt dem Patienten geradezu instantan das, was er in der Schulmedizin oftmals vergeblich sucht: Den aufrichtigen Versuch des verständnisvollen Heilens.

Wir haben übrigens damals dann den OP-Termin abgesagt und meine Tochter hat in ihrem ganzen Leben bisher nicht einmal mehr etwas mit den Ohren oder den Mandeln gehabt. Auch keinen Paukenerguss mehr. Sie ist jetzt 25 und studiert Osteopathie. Das hatte ich ihr mal geraten. Sie sehen, sie hört immer noch gut.